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Pulver statt Produkt? Warum immer mehr Startups auf Wasser verzichten
Warum Marken wie Bluefarm, Holy und Greenforce auf Wasser verzichten – und wie Pulverprodukte zwischen Nachhaltigkeit, Convenience und Konsumententrägheit balancieren.
»Und jetzt fehlt nur noch eins …« – wer regelmäßig “ZDF Besseresser” schaut, kennt diesen Satz. TV-Koch und Produktentwickler Sebastian Lege liefert ihn meist mit einem süffisanten Lächeln. Gemeint ist Wasser – laut Lege das Lieblingswerkzeug der Lebensmittelindustrie. Kein Wunder, schließlich macht es viele Produkte billiger, voluminöser und damit profitabler. Der Trick: Wasser rein, Marge rauf.
Doch was in Lege-Sendungen gerne als Verbrauchertäuschung gebrandmarkt wird, hat inzwischen ein überraschendes Gegengewicht bekommen. Immer mehr Food-Startups verzichten bewusst auf die Zugabe von Wasser – und setzen stattdessen auf Pulver.
Was zunächst wie ein Rückschritt klingt, ist in Wirklichkeit Teil einer größeren Strategie. Unternehmen wie Bluefarm, Holy und Greenforce verfolgen mit Pulverprodukten ein klares Ziel: Ressourcenschonung, Gesundheitsorientierung – und ein neues Convenience-Verständnis.
Pulver statt Plastik
Die ökologischen Vorteile liegen auf der Hand. Wer Wasser erst zu Hause hinzufügt, spart unterwegs Gewicht, Volumen – und Verpackung. Bluefarm, Anbieter für Haferdrinkpulver, rechnet vor: Ein Beutel ersetzt bis zu vier Getränkekartons. Das reduziert Müll, spart CO₂ beim Transport und macht die Kühlkette überflüssig.
Auch Greenforce – bekannt für vegane Fleischalternativen in Pulverform – verweist auf den Vorteil der Trockenlagerung. Anders als tiefgekühlte Plant-Based-Produkte kommt das Pulver ohne energieintensive Logistik aus. Stattdessen reicht ein Vorratsschrank.
Einfache Idee, lange Haltbarkeit
Neben ökologischen Argumenten spielt die Haltbarkeit eine zentrale Rolle. Pulverprodukte sind oft monatelang haltbar, brauchen keinen Kühlschrank und lassen sich bedarfsgerecht portionieren. Das bedeutet: Weniger Food Waste, mehr Flexibilität – besonders in Single-Haushalten oder bei Menschen mit unregelmäßigen Essgewohnheiten.
Hinzu kommt: Der Direktvertrieb per Abo-Modell funktioniert mit Pulver besonders gut. Keine zerdrückten Verpackungen, keine Kühlboxen – sondern einfach ein Päckchen im Briefkasten.
Funktionalität trifft Lifestyle
Holy, ein Berliner Startup für Energy- und Softdrinks in Pulverform, setzt zusätzlich auf funktionale Inhaltsstoffe: kein Zucker, dafür Grüntee-Extrakt, Nootropika, Vitamine. Der Ansatz: smarter trinken – ohne Kompromisse beim Geschmack.

HOLY
Die Kommunikation richtet sich an eine junge Zielgruppe: visuell laut, inhaltlich fokussiert. Das Ziel: ein gesundes, nachhaltiges Produkt, das trotzdem Spaß macht – und konkurrenzfähig bleibt mit Marken wie Red Bull oder Monster.
Wer steckt dahinter?
Die Unternehmensphilosophien der drei Marken ähneln sich – und unterscheiden sich doch im Detail:
Bluefarm will pflanzliche Ernährung alltagstauglich machen – ohne unnötige Zusätze, mit Fokus auf Klima und Kreislaufwirtschaft.
Holy spricht Lifestyle-affine Konsument*innen an, die gesünder trinken wollen, aber nicht bereit sind, auf Geschmack zu verzichten.
Greenforce geht einen Schritt weiter: Das Unternehmen integriert sogar den Rohstoffanbau – und kontrolliert so weite Teile der Wertschöpfungskette selbst.
VCs glauben an Pulver
Dass Pulverprodukte mehr als ein Nischentrend sind, zeigt ein Blick auf die Investorenseite. Venture Capital-Geber scheinen an das Konzept zu glauben – und investieren sieben- bis achtstellige Beträge in die Unternehmen:
Greenforce hat bislang rund 17 Millionen US-Dollar eingesammelt. Allein im Dezember 2022 kamen 13 Millionen Euro zusammen, unter anderem von Persönlichkeiten wie Joko Winterscheidt, Thomas Müller und mehreren ehemaligen Top-Managern aus der Food- und Gesundheitsbranche. Im März 2025 folgte eine weitere Investition von Sevenventures im mittleren einstelligen Millionenbereich.
Holy konnte in zwei Finanzierungsrunden insgesamt 12,3 Millionen Euro einwerben. Die größte Runde führte Left Lane Capital aus New York im August 2023 mit 10,5 Millionen Euro an.
Bluefarm sicherte sich bislang 5,4 Millionen US-Dollar – darunter 3 Millionen Euro in einer Seed-Runde im Herbst 2022. Zu den Investoren zählen Zintinus Capital und das Handelshaus Jebsen & Jessen.

Günstiger durch Effizienz
Pulverprodukte sind nicht nur nachhaltiger und funktionaler – sie sind auch preislich oft im Vorteil. Das liegt an handfesten Effizienzgewinnen in der Herstellung und Logistik: Wer auf Wasser im Produkt verzichtet, spart bei Abfüllung, Transport und Verpackung. Diese Einsparungen geben viele Anbieter direkt an die Konsument*innen weiter. Bluefarm etwa verspricht, dass ein Beutel ihres Haferdrinkpulvers bis zu 20 Getränkekartons ersetzt – zu deutlich geringeren Kosten pro Liter. Auch Holy positioniert sich klar unter dem Preisniveau klassischer Energy Drinks. Und bei Greenforce fällt der Preis pro Portion meist niedriger aus als bei gekühlten veganen Fleischalternativen im Supermarkt. Hinzu kommt: Kein Kühlbedarf, geringes Gewicht, Direktvertrieb – all das senkt die Kostenstruktur und macht Pulverprodukte zu einer ernstzunehmenden Alternative. Vorausgesetzt, man ist bereit, den kleinen Umweg des Anrührens in Kauf zu nehmen.
Aber: Nicht alles Gold, was rieselt
Trotz aller Vorteile bleiben Herausforderungen. Pulverprodukte sind hochverarbeitet. In der Herstellung gehen Ballaststoffe und andere Nährstoffe verloren. Auch der Geschmack kann – gerade bei selbst angerührten Varianten – schwanken.
Hinzu kommt: Die Zubereitung erfordert einen zusätzlichen Schritt. Und auch wenn das Anmischen nicht schwierig ist – Bequemlichkeit schlägt Idealismus. Ein Faktor, den man nicht unterschätzen darf. Denn viele Konsument*innen greifen am Ende doch zur fertigen Flasche.
Dazu kommen gesundheitliche Fragen: Zu viel Proteinpulver kann langfristig Nieren und Leber belasten. Und einige Mischungen enthalten – je nach Sorte – mehr Salz als gewünscht.
Rückschritt oder Übergangsmodell?
Dass Greenforce inzwischen auch fertige Produkte im Glas anbietet – mit Wasser – zeigt: Pulver hat seine Grenzen. Gleichzeitig ist das kein Abgesang auf das Konzept. Vielleicht ist es eher ein Beweis dafür, dass Ernährung heute mehr sein muss als nur funktional. Sie muss einfach sein, intuitiv – und emotional aufgeladen.
Was bleibt, ist ein bemerkenswerter Innovationspfad, den eine neue Generation von Lebensmittelmarken geht: weniger Wasser, mehr Verantwortung. Wie dauerhaft dieser Trend ist, entscheidet sich nicht in der Produktionshalle – sondern in der Küche. Genauer gesagt: beim Griff zum Wasserhahn.
Quellen: