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Umami 2.0 – das neue Maggi
Vom Maggi-Klassiker bis zu fermentierten Pilz-Pasten: Wie Umami die fünfte Geschmacksrichtung neu definiert und Küche, Gesundheit & Nachhaltigkeit verbindet.
1887 experimentierte Julius Maggi in seiner kleinen Werkstatt in der Schweiz. Er wollte ein Würzmittel schaffen, das Speisen schneller schmackhaft machte und gleichzeitig die Ernährung der Arbeiterfamilien verbesserte. Das Ergebnis war die berühmte Maggi Würze – eine flüssige Würze, die bis heute in der charakteristischen braunen Flasche mit gelb-rotem Etikett verkauft wird. Mehr als hundert Jahre später hat sich an der Rezeptur kaum etwas verändert. Die Würze ist nach wie vor beliebt, aber auch umstritten: Zu viel Salz, Glutamat, der damals wie heute gefürchtete Geschmacksverstärker.

Julius Maggi (KI-generiert)
Die Entdeckung von Umami
Glutamat ist dabei alles andere als neu. Schon lange bevor Maggi die Würze erfand, wussten asiatische Küchenmeister um die Kraft des herzhaften Geschmacks. Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es dem japanischen Chemiker Kikunae Ikeda, das Rätsel zu entschlüsseln: Es war eine spezifische Substanz, die die Geschmacksknospen anders stimulierte als süß, sauer, salzig oder bitter. Er nannte diesen fünften Geschmack Umami – ein Begriff, der sich grob mit „wohlschmeckend“ oder „herzhaft“ übersetzen lässt. Ikeda isolierte Mononatriumglutamat (MSG) aus Kombu-Algen, einer Zutat, die traditionell in der japanischen Küche für Suppen und Brühen verwendet wurde, und erkannte, dass genau diese Substanz das intensive, fleischige Aroma erzeugte, das wir heute als Umami kennen.
Historische Wurzeln: Das Garum der Römer
Eine weitere historische Parallele zu Umami findet sich im Garum, der Würzsoße der alten Römer. Garum wurde aus fermentiertem Fisch hergestellt und war das Standardgewürz in der römischen Küche – vielseitig einsetzbar und ähnlich intensiv wie heutige Umami-Produkte. Schon damals diente es dazu, Speisen Tiefe und Herzhaftigkeit zu verleihen, und fand sowohl in herzhaften als auch in süßen Gerichten Verwendung. Traditionelle Würzmittel wie Sojasauce oder Fischsauce, die Umami schmecken, existierten bereits lange bevor der Begriff überhaupt erfunden wurde. Im Grunde war Garum ein frühes Experiment mit natürlichen Umami-Quellen, lange bevor Ikeda den Geschmack systematisch analysierte. Heute erleben Garum-Interpretationen eine Renaissance: Gemüse, Molke, Pilze und mehr werden zu Pasten und Würzen verarbeitet, die den Geschmack intensivieren, Salz reduzieren und gleichzeitig nachhaltig produzierte Lebensmittelkreisläufe fördern. Die Wiederentdeckung des Garums zeigt, dass Umami kein moderner Trend ist, sondern eine jahrtausendealte kulinarische Idee, die jetzt in neuen, kreativen Formen auf unsere Teller zurückkehrt.
Umami ist also kein Trendbegriff, sondern ein tiefes, vollmundiges Aroma, das von Natur aus in proteinreichen Lebensmitteln wie Pilzen, Käse oder Algen vorkommt. Es verleiht Speisen Intensität und ein fleischiges Mundgefühl, ohne dass Salz übermäßig eingesetzt werden muss. In den letzten Jahren erlebt Umami weltweit eine Renaissance, getrieben von Trends wie pflanzenbasierter Ernährung, Clean Label und einer steigenden Nachfrage nach komplexen, natürlichen Geschmackserlebnissen.
Glutamat als smarter Salzersatz
Nicht nur Köch*innen und Food-Enthusiast*innen kennen das Potenzial von Umami – auch Gesundheitsbehörden setzen zunehmend auf den herzhaften Geschmacksverstärker. In Großbritannien beispielsweise gilt Glutamat als sinnvoller Ersatz für Salz. Die dortige Regierung verfolgt seit Jahren umfassende Reduktionsstrategien, um die Bevölkerung vor den Folgen von zu hohem Natriumkonsum zu schützen. Zu viel Salz erhöht das Risiko für Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenprobleme. Glutamat hingegen verstärkt den Geschmack von Speisen ohne diese gesundheitlichen Risiken. Studien zeigen, dass eine moderate Verwendung von Glutamat es ermöglicht, Salz signifikant zu reduzieren, ohne dass Gerichte an Intensität verlieren. In der Praxis bedeutet das: Mit Umami lässt sich der Geschmack auf natürliche Weise bewahren, während gleichzeitig die Gesundheit gefördert wird – eine Kombination, die sowohl Verbrauchern als auch Food-Startups neue Möglichkeiten eröffnet.
Pioniere und moderne Umami-Produkte
Wer heute Umami in seiner ganzen Bandbreite erleben will, trifft auf Pioniere, die den Geschmack neu interpretieren. René Redzepi, einer der bekanntesten Köche der Welt, hat mit seinem Projekt Noma Projects das Smoked Mushroom Garum auf den Markt gebracht – ein flüssiges Würzmittel aus Bio-Pilzen, Salz und Reis-Koji, inspiriert von der antiken römischen Garum-Küche.
Gleichzeitig experimentieren Startups wie Pilzling in Köln mit urbaner Kreislaufwirtschaft: Aus Nebenprodukten wie Kaffeesatz, Holzspänen oder Biertreber züchten sie Austernseitlinge, Shiitake oder Lion’s Mane. Daraus entsteht die „Shroom Boom Umami“-Linie, die nicht nur die Gastronomie, sondern auch Einzelhandel und Endverbraucher versorgt.

re.garum
Das Startup re.garum transformiert Umami in eine nachhaltige, innovative Form: Gemüse, Molke oder pensionierte Hühner werden zu würzigen Pasten verarbeitet, die Bouillon und Salz ersetzen, den Geschmack intensivieren und gleichzeitig Lebensmittelverschwendung reduzieren.
Marktpotenzial und Wachstum
Der globale Umami-Markt wächst rasant. 2024 wurde er auf rund 2,2 Milliarden US-Dollar geschätzt, Prognosen gehen davon aus, dass er bis 2035 auf knapp 4,8 Milliarden US-Dollar steigen wird. Getrieben wird dieses Wachstum nicht nur von der Popularität asiatischer Küche, sondern auch von einem gesteigerten Bewusstsein für gesunde Ernährung, pflanzenbasierte Kost und natürliche Inhaltsstoffe. Umami erlaubt es, Salz zu reduzieren, ohne dass der Geschmack leidet, und verleiht pflanzlichen Gerichten die Tiefe, die sonst nur Fleisch liefern kann.

grand view research
Produkte, die Umami nutzbar machen, sind vielfältig. Sie reichen von flüssigen Sojasaucen, Fischsaucen und Pilzextrakten über Pasten, die Sojasauce, Honig und getrocknete Pilze kombinieren, bis hin zu Pulver und Gewürzmischungen, die Hefe- und Pilzpulver enthalten. Fermentierte Produkte wie Miso, Tempeh oder fermentiertes Gemüse dienen ebenfalls als Umami-Booster. Große Player wie Ajinomoto und Cargill liefern die industriellen Zutaten, während spezialisierte Anbieter wie Bell Flavors & Fragrances, Senson oder MCLS-Ltd natürliche Umami-Extrakte entwickeln. Kleine Startups wiederum experimentieren mit Upcycling: Restgemüse, Molke oder Pilzsubstrate werden zu intensiven Umami-Produkten, die gleichzeitig Nachhaltigkeit und Geschmack verbinden.
Umami als Motor für Innovation
Umami ist weit mehr als nur ein Geschmack – es ist ein mächtiges Werkzeug für Innovationen in der Lebensmittelindustrie. Es verbindet Gesundheit, Nachhaltigkeit und kulinarische Kreativität auf einzigartige Weise. Durch seinen herzhaften Charakter ermöglicht Umami die Reduktion von Salz, unterstützt pflanzenbasierte Ernährung und schafft personalisierte, vollmundige Geschmackserlebnisse. Besonders relevant ist dies für Fleischersatzprodukte, denen oft die Tiefe und Intensität von tierischem Geschmack fehlt: Mit Umami lassen sich vegane oder pflanzliche Alternativen so würzen, dass sie auch für Fleischliebhaber überzeugend schmecken, ohne auf tierische Inhaltsstoffe zurückzugreifen. Gleichzeitig eröffnet Umami neue Möglichkeiten für die Fusion von Küchen und kulinarischen Stilen weltweit.
Die Geschichte des fünften Geschmacks zeigt, dass Innovation häufig aus alten Ideen entsteht. Glutamat, lange Zeit verpönt, wird heute als Schlüssel zu gesünderem, intensiverem und nachhaltigerem Geschmack geschätzt. Maggi 2.0 – oder die Umami-Revolution – ist längst kein ferner Traum mehr, sondern mitten in den Küchen der Zukunft angekommen. Wer die nächste Generation von Würze erleben will, wird Umami auf seinem Teller nicht mehr missen wollen.
Quellen: