Zimtschnecken zwischen Kult und Kommerz

Wie ein klassisches Gebäck zum globalen Szeneprodukt wurde

Wenn die Tage kürzer werden, die Temperaturen sinken und der Drang nach Wärme und Wohlgefühl zunimmt, gibt es in deutschen Innenstädten ein Phänomen, das man nicht übersehen kann: Menschen stehen Schlange – nicht für Glühwein oder Bratwurst, sondern für Zimtschnecken. Was früher als unspektakuläres Hefegebäck galt, hat sich zum Trendprodukt mit Kultcharakter entwickelt. Und das längst nicht mehr nur in Skandinavien oder Nordamerika – auch in Deutschland wird der süße Zimtkringel zunehmend zum Star der Backtheke.

Saisonal, aber nicht flüchtig

Google Trends zeigt es schwarz auf weiß: Jedes Jahr im Herbst steigt das Interesse an Zimtschnecken sprunghaft an. Das Suchverhalten folgt dabei einem klaren Muster – wie ein digitaler Beweis dafür, dass dieses Gebäck für viele längst mehr ist als ein Snack: Es ist ein Ritual. Ein Symbol für Gemütlichkeit und eine kleine Flucht aus dem Alltag. Anders als viele saisonale Phänomene bleibt der Zimtschnecken-Hype aber nicht nur ein kurzes Aufflackern, sondern zeigt eine bemerkenswerte Beständigkeit.

Google Trends: Zimtschnecken (blau) und Cinnamood (rot)

Was auffällt: Die Begeisterung nimmt nicht nur zu – sie wandelt sich. Aus der klassischen Kanelbulle wird ein Popkulturprodukt, das auf TikTok mit Frosting-Explosionen gefeiert, bei Instagram kunstvoll inszeniert und auf YouTube nachgebacken wird. Zimtschnecken sind nicht mehr nur saisonal – sie sind emotional aufgeladen.

Vom Hobbyprojekt zur Franchise-Rakete: Die Geschichte von Cinnamood

Die vielleicht bekannteste deutsche Zimtschnecken-Story begann 2022 in Köln. Anna Schlecht und Luca Breuer lernten sich an der Uni kennen – sie studierte Wirtschaftspsychologie, er General Management. Beide arbeiteten später in der Beratung, doch ihr gemeinsames Nebenprojekt war weit entfernt von Excel-Tabellen: Zimtschnecken backen. Erst für Freunde. Dann für Bekannte. Und schließlich für zahlende Kundschaft.

Cinnamood

Was als Lockdown-Leidenschaft begann, wurde schnell zur Geschäftsidee – und heute zur Marke: Cinnamood. Die ersten Cafés eröffneten in Köln, bald folgten Standorte in München, Hamburg und Berlin. Das Konzept: puristisch eingerichtete Läden, ein klares Sortiment und eine Inszenierung, die perfekt auf die Sehgewohnheiten der Social-Media-Welt abgestimmt ist. Das Gründerduo plant bereits 30 Standorte in ganz Deutschland – mit Franchise-Partner*innen, die auf sechsstellige Jahresumsätze hoffen dürfen.

Vielfalt, die sich verkauft

Der Erfolg von Cinnamood ist kein Zufall. Er ist Ausdruck eines größeren Trends. Der Backwarenmarkt boomt – weltweit. Laut Prognosen soll der globale Umsatz in diesem Segment von derzeit rund 225 Milliarden Euro (2025) auf über 298 Milliarden Euro (2030) wachsen. In Deutschland liegt das Marktvolumen 2025 bei etwa 5,74 Milliarden Euro, mit einem Plus von knapp einer Milliarde bis 2030.

Zimtschnecken profitieren dabei gleich mehrfach: vom allgemeinen Wachstum, von der Retro-Welle und von der Sehnsucht nach Handwerk und Authentizität. Gleichzeitig trifft das Produkt den Zeitgeist – durch Variantenvielfalt, Anpassbarkeit und ein hohes visuelles Potenzial.

Heute gibt es Zimtschnecken in glutenfrei, vegan, mit Nussfüllung, Kokos oder Pistazie, mit Frischkäse-Topping oder Apfelstückchen. Marken wie Meßmer interpretieren den Geschmack sogar als Tee, während Startups wie Naughty Nuts ihn als streichfähiges Mandelmus in Gläser füllen. Selbst Gewürzmanufakturen springen auf den Zug auf und bieten eigens kreierte Zimtschnecken-Mischungen für den heimischen Ofen.

Europa vs. USA: Zwei Kulturen, ein Gebäck

Zwar stammen die Zimtschnecken ursprünglich aus Skandinavien, doch gerade in den USA entwickelte sich die Cinnamon Roll zu einem wahren Spektakel. Groß, fluffig, mit Toppings wie Maple Bacon oder Cookies & Cream – dort wird das Gebäck zur Leinwand für Individualität. Ketten wie Cinnaholic bieten über 20 Frostings zur Auswahl, alles vegan, alles auf Instagram gebürstet.

Auch das Geschäftsmodell passt zum amerikanischen Food-Franchise-Boom: schnelle Expansion, hohe Marge, starkes Community-Gefühl. Cinnaholic, Kinnamōns & Co. setzen dabei auf Frische, lokale Zutaten und Lifestyle-Marketing.

Europa geht den Weg etwas zurückhaltender – dafür handwerklicher. Hier steht die Kombination aus Nostalgie und moderner Inszenierung im Vordergrund. Ob „Kanelbulle“ in Schweden, „Zimtknoten“ in Süddeutschland oder die dekorative Rollversion in Berlin-Mitte: Die Zimtschnecke ist hier kulturell tief verankert und wird zunehmend zum Botschafter für das neue Bäckerhandwerk.

Ein Gebäck als soziales Ereignis

Was auffällt: Zimtschnecken sind selten ein schneller Snack. Wer sie kauft, zelebriert. Sie werden geteilt, fotografiert, verschenkt. Oft sind sie Anlass für ein Treffen oder ein Ritual im Büroalltag. Cafés, die sich auf Zimtschnecken spezialisiert haben, schaffen Erlebnisorte – mit Warteschlange inklusive. Das Gebäck wird zur Bühne für Community und Storytelling.

Und genau darin liegt auch der wirtschaftliche Wert. Denn Produkte, die Emotionen auslösen, sind stabiler – auch in einem zunehmend volatilen Lebensmittelmarkt. Wer es schafft, aus einem simplen Hefegebäck ein modernes Lebensgefühl zu machen, hat mehr als nur ein Trendprodukt geschaffen.

Fazit: Mehr als nur Zucker und Zimt

Zimtschnecken sind längst mehr als ein Klassiker aus dem Norden. Sie sind Symbole für Entschleunigung, Handwerk und Genuss – und gleichzeitig Produkte der Social-Media-Gesellschaft. Der Markt boomt, die Variantenvielfalt wächst, die Nachfrage bleibt hoch.

Ob als Szenegebäck in Berlin, als veganer Custom-Roll in San Francisco oder als nostalgischer Familienkuchen am Sonntag – die Zimtschnecke hat das Potenzial, dauerhaft in der urbanen Genusskultur Europas verankert zu bleiben. Ein süßer Trend, der gekommen ist, um zu bleiben.

Quellen